Jazzbericht 2024
Situation von Jazzmusiker:innen
Mit den Jazzstudien aus den Jahren 2016 und 2022 wurden erstmals systematisch die Lebens- und Arbeitssituation der Jazzmusiker:innen in Deutschland untersucht. Beide Arbeiten zeigen eine heterogene und überwiegend prekäre wirtschaftliche Situation der in Deutschland lebenden und praktizierenden Jazzmusiker:innen. Vorherrschend sind niedrige Einkommen und eine lückenhafte soziale Absicherung.
Arbeitsfelder & Einkunftsarten
Die Ergebnisse der „Jazzstudie 2022“ verdeutlichen, dass über 95 Prozent der Jazzmusiker:innen und -pädagog:innen einer selbstständigen Tätigkeit nachgehen. Nur drei Prozent sind ausschließlich verbeamtet oder angestellt, ohne zusätzlich noch selbstständig tätig zu sein. Viele Befragte befinden sich in mehr als einem Arbeitsverhältnis. Besonders häufig unterrichten selbstständige Musiker:innen zusätzlich als freiberufliche oder angestellte Pädagog:innen. Drei Prozent der Selbstständigen haben eine (Teilzeit-)Stelle als angestellte:r oder verbeamtete:r Musiker:in – wie zum Beispiel als Professor:in an einer Hochschule oder als Mitglied einer Bigband des öffentlich-rechlichen Rundfunks.
Das typische Musiker:inneneinkommen setzt sich aus verschiedenen Quellen zusammen. Konzerte bilden den wichtigsten Teil und machen 35 bis 45 Prozent der Einnahmen aus. Die durchschnittliche Konzertgage liegt derzeit bei etwa 250 Euro (246 vor Corona, 269 Euro seit Corona). Laut der „Jazzstudie 2016“ lagen 85 Prozent der Gagen unter 250 Euro und 25 Prozent sogar unter 50 Euro. Die Mindestgagenempfehlung der Deutschen Jazzunion von 2016 könnte also Wirkung gezeigt haben – es zeichnet sich allerdings weiterhin massiver Anpassungsbedarf an die allgemeinen Kostensteigerungen ab. Die genannten Gagen sind noch weit entfernt davon, Musiker:innen ein ausreichendes Einkommen und damit eine Grundlage für eine entsprechende Altersvorsorge ermöglichen zu können.
Eine weitere wichtige Einkommensquelle sind die pädagogischen Tätigkeiten: 21 bis 24 Prozent stammen aus selbstständigen, pädagogischen Tätigkeiten, weitere 21 bis 27 Prozent aus Lehrtätigkeit im Angestellten- oder Beamtenverhältnis. Einnahmen aus Kompositionsarbeit, Tonträgern und Streaming haben im Durchschnitt einen Anteil am Einkommen von fünf bis zehn Prozent.
Vor Beginn der Corona-Pandemie lag die wöchentliche durchschnittliche Arbeitszeit für hauptberufliche Musiker:innen bei 46 Stunden; durch die Pandemie reduzierte sich diese um drei Stunden auf 43 Wochenarbeitsstunden im Jahr 2021. Dieser Rückgang ist vor allem auf die Pandemie-Auswirkungen im Live-Sektor zurückzuführen. Die ansonsten insgesamt doch recht hohe Wochenarbeitszeit ist eine Folge der mehrheitlich selbstständigen Beschäftigung: Neben der Zeit für Üben, Proben, Auftreten und Unterrichten braucht es viel (unbezahlte) Zeit für Organisatorisches wie Akquise, Verwaltung und Selbstvermarktung.
Einkommenssituation
Die in der „Jazzstudie 2022“ befragten Jazzmusiker:innen verfügen über weniger als 60 Prozent des Durchschnittseinkommens der Bundesbürger:innen – ein erschreckend niedriger Wert vor dem Hintergrund einer in der Regel hohen akademischen Qualifikation. Das zu versteuernde Jahreseinkommen von Jazzmusiker:innen lag 2021 im Durchschnitt bei etwa 21.000 Euro. Rund 40 Prozent der Befragten hatten ein Jahreseinkommen von weniger als 12.500 Euro im Jahr. Nur 14 Prozent gaben ein zu versteuerndes Einkommen von über 40.000 Euro an. Insgesamt ist das Einkommensniveau im Jazz niedriger als in anderen Musik- und Kulturbranchen und für Frauen noch einmal niedriger als für Männer.
Ein Vergleich der Einkommen nach Geschlecht zeigt deutlich geringere Einkommen für Frauen – anders noch als in der „Jazzstudie 2016“. 2021 verdienten Frauen im Durchschnitt 16.200 Euro gegenüber einem Jahreseinkommen der Männer in Höhe von 21.500 Euro. Noch gravierender sind die Einkommensdifferenzen zwischen Angestellten und Selbstständigen: Mit durchschnittlich 16.100 Euro Jahreseinkommen verdienen Selbstständige weniger als die Hälfte ihrer angestellten oder verbeamteten Kolleg:innen, die ein durchschnittliches Einkommen in Höhe von 35.300 Euro erzielen.
Selbstständige verdienen nicht nur deutlich weniger, sie erfahren auch keine soziale Sicherung im Fall von Arbeitslosigkeit oder längerer Berufsunfähigkeit. Häufig ist die Zeit der Ferien nicht bezahlt. Selbstständige Arbeitsverhältnisse auf Honorarbasis sind an Musik(hoch-)schulen weit verbreitet. 2022 betraf dies beispielsweise 45 Prozent aller Lehrkräfte an Musikschulen. Diesen Umstand greift das 2022 gefällte „Herrenberg-Urteil“ auf, das die Anstellung auf Honorarbasis für rechtswidrig erklärt hat.
Die „Jazzstudie 2022“ war besonders geprägt vom Einfluss der Corona-Pandemie. Die Pandemie-Schutzmaßnahmen trafen die Jazzmusiker:innen wegen der großen Bedeutung des Live-Bereichs besonders heftig, es kam zu signifikanten finanziellen Einbußen. Während das Durchschnittseinkommen der Bundesbevölkerung im Jahr 2021 deutlich über dem Wert von 2019 lag, konnten sich Jazzmusiker:innen vom pandemie-bedingten Einbruch nur schwer erholen. Ihr durchschnittliches Jahreseinkommen lag 2021 noch unter dem Niveau von 2019. Ohne die staatlichen Corona-Hilfen wäre dieser Einbruch deutlich dramatischer ausgefallen. Mehr als 80 Prozent der befragten Musiker:innen hatten finanzielle Unterstützung während der Pandemie erhalten.
Soziale Absicherung & Altersvorsorge
Trotz der im Durchschnitt geringen Einkommen ist die Abdeckung durch die Sozialversicherung hoch: 80 Prozent der Befragten sind über die Künstlersozialkasse (KSK) versichert, was die Unverzichtbarkeit der KSK unterstreicht. Anders ist die Situation bei der Altersvorsorge. Die „Jazzstudie 2022“ hat gezeigt, dass die durchschnittlich zu erwartenden Altersbezüge bei 700 Euro pro Monat liegen. Die Hälfte der Befragten erwartet sogar weniger als 460 Euro. Konsequenterweise haben mehr als 50 Prozent Angst vor Altersarmut.
Die geringen Rentenansprüche sind auch in den niedrigen Einkommen begründet, die nur geringe Renteneinzahlungen erlauben und somit kein existenzsicherndes Alterseinkommen erwarten lassen. Genauso wenig lassen sich Investitionen in eine private Altersvorsorge finanzieren. Viele Musiker:innen beklagen auch das Fehlen geeigneter Rentenpläne, die für die in künstlerischen Berufen typischen schwankenden und langfristig wenig planbaren Einnahmen geeignet wären.
Die Berechnungen von Verbänden wie dem Deutschen Musikrat zu den für eine auskömmliche Rente notwendigen Konzertgagen zeigen, dass eine durchschnittliche Honoraruntergrenze von ca. 675 Euro (im Jahr 2024) erforderlich wäre. Im Februar 2024 hat die Bundesbeauftragte für Kultur und Medien angekündigt, dass ab Juli 2024 verpflichtende Honoraruntergrenzen in der Bundeskulturförderung gelten. Das betrifft alle Förderungen, bei denen der Finanzierungsanteil des Bundesressorts für Kultur und Medien 50 Prozent übersteigt. „Maßstab für die einzuhaltenden Honoraruntergrenzen sind die entsprechenden bundesweiten Empfehlungen der jeweils einschlägigen Berufs- und Fachverbände der Künstlerinnen, Künstler und Kreativen.“ Weil die Fördertöpfe nicht ausreichen, kann sich der notwendigen Honoraruntergrenzenhöhe aktuell nur stufenweise genähert werden.
ZIELE UND HANDLUNGSEMPFEHLUNGEN
- Stärkung/Förderung der kulturellen Infrastruktur (Spielstätten, Festivals, Förderprogramme), um u.a. eine auskömmliche Vergütung zu gewährleisten
- Sozialversicherungspflichtige Anstellungsverhältnisse an Lehreinrichtungen ermöglichen, Kurzzeitverträge unterbinden
- Sicherung und Ausbau der Künstlersozialkasse und anderer sozialer Sicherungssysteme insbesondere hinsichtlich Altersvorsorge, Arbeitslosigkeit und Arbeitsunfähigkeit
- Schaffung barrierefreier Zugänge zu Ausbildung und Förderung professioneller Jazzmusiker:innen