Jazzbericht 2024
Spielstätten
Die Vision: Spielstätten für Jazz und Improvisierte Musik sind gleichermaßen Herzstück wie Rückgrat einer vitalen und innovativen Musikszene. Als feste Orte mit professioneller Ausstattung und regelmäßigem, ganzjährigem Konzertangebot sind sie Katalysatoren für aktuelle Entwicklungen in der Musik, Auftraggeber:innen für etablierte und neue Künstler:innen, Arbeitgeber:innen weiterer Fachkräfte sowie Talentscouts und Nachwuchsförder:innen zugleich. Spielstätten sind Schnittstellen zu Publikum und Medien ebenso wie Häuser für Austausch, Proben und Kommunikation – sie sind also essenziell für eine kulturelle Grundversorgung sowie eine lebendige Auseinandersetzung mit und Weiterentwicklung der Kunstform Jazz.
Definition einer Spielstätte
Die Studie „Musik Life – Die Spielstätten für Jazz und Aktuelle Musik in Nordrhein-Westfalen“ definiert als Spielstätte „Räumlichkeiten, deren primärer Zweck im Aufführen von live gespielter Musik besteht“. Analog definiert die „Clubstudie“ der Initiative Musik von 2021, explizit in Abgrenzung zu sogenannten „Musikclubs“ mit tanzbarer, vorwiegend elektronischer Musik: „Musikspielstätten sind Einrichtungen, deren zentraler Zweck die Veranstaltung musikalischer Live-Darbietungen von Künstler:innen und insbesondere Nachwuchskünstler:innen vor einem anwesenden Publikum ist. Sie tragen zu kultureller Teilhabe breiter Bevölkerungsschichten bei und fördern den gesellschaftlichen Austausch. Die Förderung von Kunst und Kultur ist dabei dem kommerziellen Interesse übergeordnet. Das ständig wechselnde Programm ist kuratiert und gewährt die künstlerische Freiheit der Darbietung. Dadurch fördern Musikspielstätten die kulturelle Vielfalt und stellen einen wichtigen Beitrag des lokalen Kulturangebotes dar.“
Die Realität
Die „Clubstudie“ geht bundesweit von rund 150 Spielstätten des Jazz und der Improvisierten Musik aus. Sie werden in der Studie als eigener Musikspielstätten-Typ behandelt, da sie eine besondere Form einer Musikspielstätte darstellen. Die Zahl deckt sich in etwa mit der im „Wegweiser Jazz“ des Jazzinstituts Darmstadt, der zwar 700 Adressen listet, von denen jedoch nach Prüfung und Bereinigung um ‚sachfremde‘ Einträge etwa 150 Orte übrig bleiben, die bundesweit regelmäßig und ganzjährig mehrmals im Monat Livemusik-Veranstaltungen mit dem Schwerpunkt Jazz und Improvisierte Musik in allen Spielarten anbieten.
Von diesen ca. 150 Orten sind allerdings weniger als zehn Spielstätten mit regelmäßiger nennenswerter Unterstützung ausgestattet, darunter: domicil (Dortmund), Stadtgarten Köln, Loft (Köln), Die Tonne (Dresden) und Unterfahrt (München). Diesen wenigen Spielstätten stehen – nur um ein Beispiel zu nennen – 87 Opernhäuser in 84 deutschen Städten gegenüber.
Zwischen der essenziellen infrastrukturellen und künstlerischen Bedeutung der Spielstätten und der tatsächlichen finanziellen Wertschätzung durch Kommunen, Länder und Bund besteht eine Diskrepanz. Nach wie vor fallen die mangelnde institutionelle Verortung von Jazz in der Breite der deutschen Kulturlandschaft und die entsprechenden Ungleichbehandlungen in der staatlichen Förderung auf. Das zeigt sich beispielsweise im Vergleich mit der als Klassik bezeichneten europäischen Kunstmusik und der in diesem Bereich meist aus öffentlichen Mitteln ausfinanzierten, im Jazz jedoch in der Regel auf Ehrenamt und kleinteilige Projektfinanzierung angewiesenen Spielstätten-Infrastruktur.
Die Formen und Ausprägungen der Spielstätten des Jazz sind höchst unterschiedlich und so vielfältig wie die musikalische Kunstform selbst: von rein ehrenamtlich getragenen, kleinen Clubs mit ein bis drei Konzerten pro Monat bis hin zu wenigen, professionell betriebenen Musikspielstätten mit regelmäßigem Konzertangebot pro Woche. Ihre Größe reicht von kleiner Ein-Raum-Bühne mit einer Besucherkapazität von unter 50 bis zu Konzerthäusern mit zwei oder drei Sälen und einer Kapazität von bis zu 500 Besucher:innen; die einen präsentieren traditionelle, ältere Spielarten des Jazz ebenso wie Mainstream-Jazz, die anderen innovative, experimentelle Programme. Die überwiegende Betreiber:innen-Struktur ist die eines gemeinnützigen Trägervereins mit großem ehrenamtlichem Anteil.
Spielstätten-Förderung
Die Situation der Spielstätten ist unbefriedigend. Zwar hat sich in den vergangenen zehn Jahren durch Förderprogramme des Bundes wie dem Spielstättenprogrammpreis APPLAUS oder gezielte Hilfen für Investitionen in Technik und Ausstattung bei einigen Spielstätten die Situation verbessert. Diese Förderungen geben jedoch keine Planungssicherheit. Eine öffentliche Unterstützung durch Länder und Gemeinden ist in der Regel auf kurzfristige Projektmittelförderung beschränkt. Hervorzuheben ist allerdings, dass während der Corona-Pandemie Unterstützungen durch Bund, Länder und Kommunen bereitgestellt worden sind, sodass nur wenige Spielstätten ihren Betrieb langfristig einstellen mussten.
Spielstätten des Jazz und der Improvisierten Musik sind wesentlich auf öffentliche Zuschüsse für den Betrieb und das Konzertprogramm angewiesen. Die gastronomischen Einnahmen spielten etwa bereits vorpandemisch mit durchschnittlich 33 Prozent Anteil an den Gesamteinnahmen eine weniger große Rolle als in anderen Livemusik-Spielstätten. Postpandemisch sind auch hier Einbußen zu verzeichnen. Zusammen mit den Erlösen aus Eintrittsgeldern machen die Einnahmen aus der Gastronomie im Schnitt zwei Drittel der gesamten Erlöse aus.
Der Anteil öffentlicher Zuschüsse an den Erlösen beträgt durchschnittlich 17 Prozent, diese sind damit für die Spielstätten des Jazz substanziell. Das ist zwar ein richtiges Fazit, allerdings ist die „Clubstudie“, die Einschätzung öffentlicher Förderung betreffend, zu undifferenziert für eine weitergehende Analyse: Sie benennt weder die Prozentzahl der Spielstätten, die gar keine Zuschüsse erhalten, noch zeigt sie die in der Höhe sehr unterschiedlichen Fördersummen, zu deren Einschätzung wenigstens ein Median hätte ermittelt werden müssen; ebenso differenziert sie nicht die Art der Zuschüsse – wie beispielsweise temporäre Projektmittel, institutionelle Förderung, einmalige Hilfszahlungen oder Preisgelder.
Weitere elf Prozent der Einnahmen entstehen durch sonstige Erlöse, zu denen auch Mitgliedsbeiträge der gemeinnützigen Vereine zählen. Diese Mitgliedsbeiträge sind bei anderen Musikspielstätten-Typen eher unüblich – somit klar eine Besonderheit der Spielstätten des Jazz.
Auf der Kostenseite entfallen 47 Prozent auf Honorare für Künstler:innen; kein anderer Musikspielstätten-Typus der Aktuellen Musik wendet proportional einen höheren Anteil für die Bezahlung von Künstler:innen auf als die Jazzspielstätten – auch dann, wenn man die Anzahl jährlicher Musikveranstaltungen im Vergleich mit denen anderer Musikspielstätten-Typen berücksichtigt. Dennoch liegt die durchschnittliche Gagenhöhe weit unterhalb der unter anderem vom Deutschen Musikrat berechneten Honoraruntergrenze von 675 Euro pro Konzert und Person. Zudem zeigt die Studie auch hier ein undifferenziertes Bild, da nicht explizit die Unterscheidung von Festgagen oder prozentualen Eintrittsbeteiligungen („Spielen auf Eintritt“) abgefragt wurde.
Kostenstruktur
Erlösstruktur
Hinsichtlich Jahresumsatz und -ergebnis ergibt sich nach der Clubstudie der Initiative Musik: Der Median des Jahresumsatzes liegt bei 60.000 Euro; d.h., die Hälfte der befragten Spielstätten liegt darunter und erwirtschaftet weniger als diese Summe. Der Umsatzdurchschnitt liegt bei 166.688 Euro. Der Median des Jahresergebnisses liegt bei 300 (dreihundert, sic!) Euro, d.h. die Hälfte der Spielstätten erzielt weniger als 300 Euro Überschuss. Der niedrige Median deutet darauf hin, dass viele der Spielstätten negative Jahresergebnisse und damit Verluste zeitigten. Durchschnitt des Überschusses waren 12.000 Euro. Die Umsatzrentabilität beträgt im Median 0,3 Prozent, im Durchschnitt 0,6 Prozent. Allein diese Zahlen verdeutlichen, dass für den Erhalt und die Weiterentwicklung der künstlerisch orientierten Spielstätten des Jazz zwingend deutlich höhere Förderungen notwendig sind.
In den kommenden Jahren ist aufgrund der schwierigen Haushaltslage der Gemeinden und Länder nicht von einer adäquaten Erhöhung der Zuschüsse auszugehen; im Gegenteil, die meisten Betreiber:innen einer Spielstätte rechnen mit Kürzungen oder sogar Wegfall ihrer ohnehin geringen Zuschüsse. So sehen einer Blitzumfrage der BK Jazz zufolge 51 Prozent der befragten Spielstätten die größte Herausforderung beim Thema Finanzen. „Die immer größer werdenden Nebenkosten sind ein Problem und die Unsicherheit der Zuschüsse der sog. Freiwilligen Leistungen der Kommune“, heißt es zum Beispiel. Oder: „Es drohen Kürzungen überall in der Kultur, also kann das auch uns betreffen“, „keine sichere Finanzierung, man kann nur auf Preise hoffen“ und „es fehlt die berechenbare Perspektive“.
Fazit
Spielstätten brauchen dringend mehr Förderung und langfristige Perspektiven. Eine nachhaltige Strategie und ein kulturpolitisches Konzept der öffentlichen Spielstättenförderung mit entsprechender finanzieller Ausstattung sind aber in Deutschland nach wie vor nicht erkennbar. Bund, Länder und Kommunen sollten auf nachhaltige Förderstrukturen hinarbeiten. Trotz der Kulturhoheit der Länder muss sich auch der Bund stärker engagieren, Verantwortung übernehmen und Jazz und Improvisierte Musik in seiner Kulturförderung noch mehr berücksichtigen.
Die Initiative Musik hat sich aufgrund ihrer kulturwirtschaftlichen Ausrichtung nicht als geeignetes Förderinstitut für die Spielstätten des Jazz und der Improvisierten Musik erwiesen (wie auch das entsprechende Kapitel 3.4.1 in diesem Bericht aufzeigt). Dennoch konnten durch die Erhöhung der Mittel für die Initiative Musik und die Einführung des Spielstättenprogramm-Preises APPLAUS Fortschritte erzielt werden, wie es auch die „Jazzstudie 2022“ zeigt.
Es braucht weitere Anstrengungen und konkrete politische Maßnahmen, um eine nachhaltige Zukunft für die Vielfalt und Bedeutung der Spielstättenlandschaft in Deutschland zu gewährleisten.
Ziele & Handlungsempfehlungen
- Reformierung der Initiative Musik und deren Förderprogramme
- Vorrang von künstlerisch ambitionierten Spielstätten bei der Vergabe von kommunalen, Landes- und Bundesmitteln
- Mehrjährigkeit von Betriebskostenzuschüssen und institutionellen Förderungen ermöglichen und absichern; Schaffung von Planungssicherheit
- Förderung von Kunst und Kultur als Pflichtaufgabe der öffentlichen Hände verankern
- Sicherstellung des Spielstättenprogrammpreises APPLAUS des Bundes und Erhöhung der Fördermittel
- Qualitative Studie und Analyse der Spielstätten des Jazz und der Improvisierten Musik
- Gezielte Auswahl einer zweistelligen Anzahl von künstlerischen Spielstätten bundesweit, die als Kompetenzzentren für Jazz und Aktuelle Musik aufgewertet bzw. eingerichtet werden