Jazzbericht 2024
Ausblick europäische & internationale Vernetzung
Die Vernetzung und Einbindung der in Deutschland lebenden Akteur:innen des Jazz und der Improvisierten Musik in europäische und internationale Kontexte basieren primär auf dem Engagement einzelner Akteur:innen, deren Kontakten und Kollaborationen und sind somit eher in informeller und prekärer Weise gegeben als durch nachhaltige Strategien, nationale Strukturen oder entsprechende Förderinstrumente und -programme. Gemeint ist hier nicht nur Exportförderung für deutsche Musiker:innen, sondern die materielle Ermöglichung inhaltlicher wie struktureller Zusammenarbeiten mit europäischen (und außereuropäischen) Partner:innen.
Aufgrund dieser Ausgangslage haben deutsche Jazzmusiker:innen und Veranstalter:innen im europäischen Kontext oft keine Möglichkeiten, mit ihren Kolleg:innen aus anderen Ländern mitzuhalten. Dies zeigt sich unter anderem an der geringen Anzahl deutscher Mitglieder im Europe Jazz Network (EJN), dem wichtigsten europäischen Netzwerk für „creative music, contemporary jazz and improvised music“.
Europe Jazz Network
Das Europe Jazz Network (EJN) wurde 1987 in Italien von dortigen Festivalveranstalter:innen gegründet. Die Idee damals war, sich untereinander auszutauschen und bei der Organisation von Tourneen und Konzerten zusammenzuarbeiten. Zentraler Baustein war eine elektronische Datenbank, auf die alle Mitglieder (via Modem) zugreifen konnten, um hier ihre Ideen zu teilen und sämtliche relevanten Tourdaten in „real-time“ abgleichen zu können.
Technisch war das EJN damit lange vor Etablierung des Internets seiner Zeit weit voraus. Auch politisch hat das EJN als das erste kulturelle Netzwerk in Europa eine Pionierleistung vollbracht. Ein Jahr nach der Gründung in Italien kamen das Amsterdamer Bimhuis und der Stadtgarten Köln als erste nicht-italienische Mitglieder hinzu. Schnell entwickelte sich das EJN zum führenden Netzwerk aller relevanten Akteur:innen im Bereich europäischer Jazzfestivals und -spielstätten und verfügt heute (Stand Mai 2024) über rund 200 Mitglieder, mit kontinuierlich steigender Tendenz. Das EJN hat sich als eines der effizientesten und wirkungsmächtigsten kulturellen Netzwerke in Europa etabliert und erhält regelmäßig finanzielle Unterstützung durch die Europäische Kommission.
Im Oktober 2004 wurde in Budapest das sogenannte „Manifesto“ verfasst und von der Generalversammlung beschlossen. Dieses Manifest hat bis heute nichts an seiner Relevanz verloren und wurde Vorbild für viele, ähnlichen Zielen verpflichtete, nationale Organisationen des europäischen Jazz.
In Deutschland hatte das EJN lange Zeit Schwierigkeiten, Mitglieder zu gewinnen. Traditionell war das deutsche Jazzgeschehen über viele Jahre wenig international ausgerichtet und hinkte der europäischen Entwicklung mangels relevanter nationaler Strukturen hinterher. Während andere Länder, allen voran die Niederlande, Frankreich und Norwegen, schon früh sehr wirkungsmächtige Exportförderinstrumente aufgelegt hatten, blieben die meisten Jazzmusiker:innen aus Deutschland unter sich. Ein erster Achtungserfolg gelang mit dem ersten German Jazz Meeting, das nach dem Vorbild des 1998 eingeführten Dutch Jazz Meetings, bei der ersten jazzahead! 2006 in Bremen vom eigens dafür von der BK Jazz gegründeten „German Jazz Meeting e.V.“ organisiert wurde.
Heute (Stand Mai 2024) hat das EJN zwölf Mitglieder aus Deutschland. Damit ist Deutschland gemessen an seiner Bevölkerungsgröße und kulturellen Finanzkraft deutlich unterrepräsentiert. Der regelmäßige Informationsaustausch wird neben diversen Netz-Aktivitäten über analoge Plattformen („Europe Jazz Conference“, „Artistic Exchange Platform“ und andere) organisiert, zudem bilden gemeinsame Projekte zu den Themenschwerpunkten „Sustainabilitiy“ („green rider“, „green pilot tours“, „better life“, „footprints“), „Gender Justice“ und „Social Inclusion“ das Herzstück des Netzwerks. Ebenfalls sehr erfolgreich ist der „EJN Award for Adventurous Programming“, der mit dem moers festival (2015), dem Jazzfest Berlin (2022) und dem Berliner A L’ARME Festival (2023) bereits dreimal nach Deutschland vergeben wurde, und das Projekt „Staff Exchange“, bei dem Mitglieder ihre Mitarbeitenden zu Arbeitsaufenthalten bei anderen Mitgliedern (Festivals und Spielstätten) entsenden können.
Auch heute (Stand Mai 2024) findet der europäische Austausch mit Deutschland weitgehend über die in Köln ansässigen EJN-Mitglieder statt. So wurde die „Artistic Exchange Platform“ als Netzwerk innerhalb des Netzwerks im März 2018 im Kölner Stadtgarten gegründet und 2026 wird auf Einladung der Cologne Jazzweek, der Monheim Triennale und des „Europäischen Zentrums für Jazz und Aktuelle Musik“ (im Kölner Stadtgarten) die erste „Europe Jazz Conference“ mit über 500 internationalen Fachteilnehmenden in Köln stattfinden.
Förderung Jazz in europäischen Ländern
Andere europäische Länder setzen im Vergleich zu Deutschland in ihrer Kulturförderung einen deutlich größeren Schwerpunkt auf aktuelle Künste und somit auch auf Jazz und Improvisation als Musik des 21. Jahrhunderts. Zu nennen sind Länder wie Frankreich oder Norwegen mit umfangreicher staatlicher Unterstützung und gut ausgebauten Netzwerken für Jazz. In Frankreich etwa wird die Jazzszene durch die Musikergewerkschaft und die Association Jazzé Croisé, unterstützt vom Kulturministerium, gefördert. Norwegen hat gleich fünf regionale Jazzzentren und eine nationale Spielstätte, die Victoria – Nasjional Jazzscene in Oslo. Dänemark unterstützt seine Jazzmusiker:innen durch JazzDanmark, eine nationale Organisation, die sich der Förderung des Jazz widmet.
Durch nationale Einrichtungen wie das Goethe-Institut ist zumindest eine vereinzelte Präsenz deutscher Akteur:innen im Bereich Jazz institutionell gegeben, wobei diese Förderungen zuletzt stark zurückgegangen sind und insgesamt auch hier keine umfassende, strategisch langfristig geplante und in ihren Formaten passgenaue Förderung der Jazz- und Improvisationsszene Deutschlands in der Welt stattfindet.
Herausforderung Europa
Deutsche Jazzveranstalter:innen und -festivals verfügen oftmals nicht über die notwendigen Mittel, um internationale Kooperationen und Projekte zu realisieren. Dies führt dazu, dass deutsche Künstler:innen auf europäischer Ebene eine untergeordnete Rolle spielen. Deutsche Kurator:innen und Journalist:innen bleiben im Vergleich oft „abgehängt“ und im regionalen oder nationalen Kontext verhaftet; unter anderem weil sie nicht über die nötigen Finanzmittel für Recherche- und Arbeitsreisen verfügen. Dies beeinträchtigt auch die Fähigkeit deutscher Professioneller, sich auf dem europäischen Parkett souverän zu bewegen und nachhaltige Netzwerke aufzubauen.
Ein weiteres Handlungsfeld sind die sozialen Sicherungssysteme und die internationale Besteuerung. Die derzeitigen Regelungen für im Ausland auftretende Künstler:innen führen teilweise zu umständlichen bürokratischen Vorgängen und bergen die Gefahr der Doppelbesteuerung. Dies betrifft insbesondere die Ausländersteuer und deren internationalen Gegenpart, die selbstständige Künstler:innen benachteiligen.
Zu beobachten sind die sich aus der Entschließung des europäischen Parlaments ergebenden Maßnahmen, die eine passende und ausreichende soziale Absicherung von Künstler:innen gewährleisten sollen; unter anderem im Gespräch ist eine europäische Künstlersozialkasse.
Ziele & Handlungsempfehlungen
- Förderung der internationalen Vernetzung von Festivals, Spielstätten und Initiativen: Die Politik sollte Programme und finanzielle Mittel bereitstellen, um die Zusammenarbeit zwischen deutschen und europäischen Jazzveranstalter:innen zu intensivieren
- Erhöhung der finanziellen und personellen Ressourcen für europäische und internationale Kooperationen: Staatliche Förderungen müssen erhöht werden, um Veranstalter:innen in Deutschland die notwendigen Mittel und Kapazitäten zur Verfügung zu stellen, die für internationale Projekte und Kooperationen erforderlich sind
- Überarbeitung der internationalen Besteuerung: Anpassung der Steuersysteme an die Bedürfnisse von Solo-Selbstständigen und Künstler:innen