Kulturelle Teilhabe, Digitalisierung & Vernetzung

Audience Development / Jazzvermittlung

Unter dem Begriff „Audience Development“ versteht man einen „ strategischen Öffnungsprozess von Kultureinrichtungen“ mit dem Ziel, „vielen Menschen unserer heterogenen Gesellschaft kulturelle Teilhabe zu ermöglichen“. Als „Musikvermittlung“ erlebt dieses Thema einen „andauernde[n] Hype“. Es gibt verschiedene Institutionen, die sich der Musikvermittlung widmen, Hochschulen, die Musikvermittlung lehren, Weiterbildungsinstitutionen mit passenden Angeboten sowie Musikvermittlungs-Preise. Nur selten steht dabei jedoch der Jazz im Mittelpunkt. An vielen großen klassischen Konzerthäusern gibt es eigene „Education“-Abteilungen. Diese sind eigens und angemessen finanziert durch die öffentliche Hand, ebenso wie die Konzerthäuser selbst. Dies ist für die Häuser des Jazz und der Improvisierten Musik nicht der Fall, deren finanzielle Situation insgesamt eher als prekär zu bezeichnen ist (s. Kapitel 3.2 „Spielstätten“). Daher fehlen für den Jazzbereich, bis auf wenige Ausnahmen wie zum Beispiel die Kooperation der Offenen Jazz Haus Schule mit dem Stadtgarten in Köln, entsprechende Kontexte, um eine vermittlerische Arbeit spezifisch für Jazz und Improvisierte Musik zu entwickeln.

Allmählich gibt es erste Vermittlungsformate in der Club- und Festivallandschaft des Jazz. Veranstaltungsorte wie das domicil in Dortmund oder der Jazzclub Minden haben eigene Nachwuchskonzepte und auch die Messe jazzahead! oder Festivals wie die Ingolstädter Jazztage und das Jazzfest Berlin nehmen sich inzwischen des Themas an. Entsprechende Initiativen erlauben es, andere Wege zu gehen, die einen neuen Zeitgeist im Kulturbereich repräsentieren: Etablierte Strukturen und Denkmuster werden aufgebrochen, was Teilhabe und Zugänglichkeit erst möglich macht und Begegnungen schafft. Da Infrastruktur und finanzielle Situation der Veranstalter:innen jedoch prekär sind, können es sich die meisten nicht leisten, Jazzvermittlungs-Formate als Teil ihres Programms anzubieten.

Die großen Bundeskulturfördertöpfe wie Initiative Musik oder Musikfonds sind auf künstlerische Bühnenarbeit für ein erwachsenes Publikum fokussiert. Mit den Jazzpilot:innen hat die Deutsche Jazzunion ein Projekt etabliert, das zwar erfolgreich angelaufen ist, jetzt aber auf der Stelle tritt, da die sowieso schon geringe Förderung 2024 noch weiter gekürzt wird. Jazzvermittlung sollte als Teil kultureller und politischer Bildung akzeptiert und dementsprechend honoriert und mit entsprechenden finanziellen Ressourcen ausgestattet werden. Langfristig braucht es ein „bundes- oder sogar europaweites Netzwerk für Jazzvermittlung […], das als flächendeckendes Großprojekt Teil einer nachhaltigen Förderstruktur für Bildungsarbeit zwischen musischer, kultureller und politischer Bildung sein wird“.

Digitalisierung

Auch die Musikpädagogik muss sich mit dem Trend der Digitalisierung auseinandersetzen. Insbesondere im Bereich der Musikschulen gibt es Nachholbedarf. Wenngleich in einzelnen Bundesländern mittlerweile Förderprogramme bestehen und das Thema intensiv bearbeitet wird, macht der Verband deutscher Musikschulen unter dem Eindruck der Corona-Pandemie auf massive Finanzierungslücken aufmerksam. Er fordert leistungsfähige digitale Infrastrukturen, um musikalische Bildung „zum Beispiel über Videostreaming, Video-Tutorials, Online-Unterricht oder Cloudformate zu ermöglichen“, sowie „digital orientierte inhaltliche pädagogische Konzeptionen mit entsprechenden Fort- und Weiterbildungen“. Für die Digitalisierung von Musikschulen und Musikhochschulen sollten flächendeckend ausreichende Mittel zur Verfügung gestellt werden. Es benötigt aber auch Forschung und Austausch zu der Frage, wie sich Digitalität jazzdidaktisch gestalten lässt. Die Digitalisierung bringt für musikpädagogische Kontexte zahlreiche Möglichkeiten mit sich. Jazzmusiker:innen könnten dabei mit ihren spezifischen Zugängen zu musikpädagogischen Digitalbotschafter:innen werden.

Jazzpädagogische Vernetzung

Die Vernetzung jazzpädagogischer und -vermittelnder Akteur:innen befindet sich gerade im deutschsprachigen Raum noch in den Kinderschuhen. Während das Jazz Education Network in den USA jährlich zu einer großen Konferenz einlädt und auch auf europäischer Ebene bereits entsprechende Netzwerke existieren, mangelt es im deutschsprachigen Raum an einem Pendant. Die nationale und internationale Vernetzung wäre für den Bereich der Pädagogik und Vermittlung sehr gewinnbringend. Ein entsprechendes Netzwerk könnte von den etablierten Jazzinstitutionen initiiert und etabliert werden, müsste aber mit einem entsprechenden finanziellen Rahmen ausgestattet werden.

Ziele & Handlungsempfehlungen für Kulturelle Teilhabe, Digitalisierung & Vernetzung

  • Neue und langfristig ausgerichtete Förderlinien für jazzvermittelnde Projekte von Selbstständigen
  • Bereitstellung von Mitteln zur Digitalisierung von Musik(hoch)schulen; Förderung von Forschung und Entwicklung im Bereich Digitalisierung von Jazzpädagogik und -vermittlung
  • Ermöglichung eines Netzwerks für Jazzpädagogik und -vermittlung als Plattform für Austausch und Entwicklung
  • Zusätzliche Förderung von Festivals, Spielstätten und Veranstaltungsstätten für Vermittlungsformate